aus: www.bloom.de, November 2005

Nein, perfekt ist hier garantiert nicht alles. Vor allem der Gesang ist gewöhnungsbedürftig, doch wer Ton Steine Scherben zu seinen Vorbildern zählt, der sieht eine schnoddrige Reibeisen-Stimme eher als Authentizitätsmerkmal denn als Manko.

So verwundert es nicht, dass "Heut' ist alles so perfekt" beim letzten Song "Der Traum ist aus" - eine Coverversion des Ton Steine Scherben-Klassikers - am besten klingt: Optimistischer, nach vorne treibender Ska-Punk mit einer ähnlich fordernden Stimme wie die von Scherben-Sänger Rio Reiser.

Doch das ist nicht der Grund, warum Tiefenrausch so fest in der Berliner Ska-Szene verankert sind, dass sie selbst Hallen für mehrere Tausend Besucher locker ausverkaufen. Der schnoddrige, leicht schräge, Gesang mag seinen Teil dazu beitragen, wichtiger sind jedoch Songs, die die Seele junger Berliner Ska-Fans so direkt treffen, dass sich die Mundwinkel automatisch nach oben ziehen. "Döner" ist so ein Song. In welcher anderen Stadt, wenn nicht in Berlin, können Refrains wie "Ein Döner, ein Döner / macht das Leben schöner" entstehen?

Oder das nur auf der Band-Webseite veröffentlichte "Hausbesetzerlied", welches kurz nach der Erstürmung des linken Berliner Projekts "Ex" ins Netz gestellt wurde und deutlich macht, auf welcher Seite das Herz der Band schlägt.

Doch so lustig und abwechslungsreich die Texte auf dem Album "Heut' ist alles so perfekt" auch sind, Tiefenrausch sind und bleiben - wie so viele Ska- und Ska-Punk-Bands auch - eine Live-Band. Deshalb war es eine weise Wahl, als nächste CD "Live im Tränenpalast" zu veröffentlichen. Der Übergang zwischen beiden CDs ist nahtlos.

Das "Klezmer-Outro", mit dem die alte CD aufhörte, ist als "Klezmer-Intro" der Beginn der Live-CD und zeigt deutlich den Unterschied. Letztere Version ist zwar nicht so sauber gespielt, aber die Energie und der Druck, die die Fans so begeistern, sind hörbarer. So geht es den meisten Songs. Deshalb ist für die, die aus Zeit- oder Entfernungsgründen nicht zu einem Tiefenrausch-Konzert kommen können, die Live-CD empfehlenswerter.

Robert Kneschke